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Jahresgespräch: Führungsinstrument oder Pflichtübung?

Der Sommer ist angezählt, die Penetranz des Nebels und der in allen Farben strahlende Wald setzen ein untrügliches Zeichen: der Herbst hat Einzug gehalten. Wie jedes Jahr gelangen um diese Jahreszeit wieder die Mitarbeitergespräche auf den To-Do-Listen und das alljährliche Prozedere nimmt seinen Lauf. Müssen diese Gespräche überhaupt sein? Ist unser Setup noch zeitgemäss? Übernehmen wir dasselbe Prozedere und dieselben Tools wie im Vorjahr?

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Was, ein Jahr schon wieder durch?

Wer kennt es nicht, dieses mulmige Gefühl gegen Ende des Jahres: es ist Mitarbeitergespräch-Saison. So sicher, wie im Herbst die Blätter von den Bäumen fallen, so pünktlich landet diese Pendenz Jahr für Jahr wieder auf der To Do Liste. Es gibt kein Entrinnen: die Gespräche sind Pflicht, die Jahresendtermine rücken erbarmungslos näher, Planung und Vorbereitung tun Not. Nicht selten bringen diese Gespräche insbesondere Vorgesetzte in Verlegenheit.

Auslaufmodell oder Ausrede?

Aber welch' Glück! Immer wieder schiessen vernichtende Beurteilungen von Expertinnen und Experten aller Couleur aus dem Kraut, welche diese Jahresgespräche als sinnlos, überflüssig, ja gar als absolutes Auslaufmodell qualifizieren. Same procedure as every year? Ist unser Setup noch zeitgemäss? Oder gehört dieses Relikt aus der Urzeit gar abgeschafft? Einige Experten meinen, dass es im Alltag genügend Gelegenheiten wie Arbeitsbesprechungen, Sitzungen oder Kurzgespräche gäbe und es dazu keine Jahres(end)gespräche brauche.

High Tech Beurteilungskonzept oder Plauderstunde?

Machen wir es nicht künstlich spannend. Auch wenn ich das ganze Jahr eine offene Feedback-Kultur pflege, das Jahresgespräch einfach so streichen, das geht nicht. Meine Mitarbeitenden wollen aber weder einen zehnseitigen High-Tech-Fragebogen, welchen wir im Labor gezüchtet haben noch ein unverbindliches Pläuderstündli bei Kaffee oder spanischen Nüssli. Sie wünschen sich einfach ein ehrliches und konstruktives Gespräch, möchten doch einfach ganz verständlicherweise wissen, woran sie sind, wo ihre besonderen Stärken geortet werden und in welchen Bereichen sie sich noch weiterentwickeln können. Tönt eigentlich gar nicht so kompliziert. Aber wie kriegen wir das hin, dass wir das Jahresgespräch so gestalten können, damit uns der Sprung von der «Mitarbeiterverurteilung» zum wertschätzenden Dialog gelingt?

Bitte keine Überraschungsparty

„Guten Morgen Franz, hast Du in einer halben Stunde schnell Zeit für das Jahresgespräch?" Leider sind solche Unsitten in der realen Führungswelt immer wieder an der Tagesordnung. Das ist wohl aus professioneller Sicht und punkto Respektlosigkeit kaum zu überbieten. Es ist die Pflicht des Vorgesetzten, das Gespräch seriös vorzubereiten und auch den Mitarbeitenden ausreichend Zeit zu geben, sich selber vorbereiten zu können.

Weitere No Go's

Es gibt immer noch altgediente Methoden, welche noch nicht ganz ausgestorben sind. Dazu gehören zum Beispiel die Beurteilung nach Schulnoten, der direkte Vergleich mit Ranking zwischen den Mitarbeitenden, die Meinung, dass man mindestens 20 % mit schlecht und 10 % mit ausgezeichnet beurteilen müsse. Die Liste liesse sich noch fortsetzen.

Ebenso besteht bei ausgeklügelten Gesprächsbogen immer die Gefahr, dass ich mich als Gesprächsleiter hinter dem Papier verstecke, mich eisern an Reglemente und Punktelisten halte, zu viel mit dem Mahn- und Warnfinger herumfuchtle, möglicherweise primär das Ziel habe, meiner Dokumentationspflicht nachkommen zu müssen oder das Gespräch schlicht und einfach überlade, sowohl inhaltlich wie zeitlich.

Wenn bei meinen Mitarbeitenden beim Jahresgespräch völlig überraschende Punkte auftauchen, habe ich als Vorgesetzter bezüglich Feedback-Regeln noch Luft nach oben und muss mir Führungsschwäche vorhalten lassen. Mitarbeitende sind nicht dumm und verfügen durchaus über eine gesunde Portion Selbstkritik. Aber sie wollen Wertschätzung erfahren, gelobt werden und auch lernen und sich weiterentwickeln können. Wenn meine Mitarbeitenden das Gespräch jedoch als das Langweiligste des Jahres empfinden - oder noch schlimmer als frustrierend, entmutigend oder gar demütigend – habe ich als Vorgesetzter verloren.

Lösungsansätze

Wenn ich vom klassischen Qualifikationsgedanken und insbesondere vom klassischen Notensystem wegkomme, bin ich schon auf gutem Weg. Wenn dann noch die „Beurteilung" nicht den Löwenanteil des Gesprächs in Anspruch nimmt, dann kommt es schon fast gut.

Ein sinnvoller Rahmen und Ablauf wird in der Literatur mannigfaltig abgehandelt. An dieser Stelle seien nur die wesentlichsten Punkte kurz skizziert: ich bemühe mich, einen geeigneten Rahmen (nicht in der Cafeteria), erkundige mich – ehrlich und nicht nur pseudomässig - nach der Befindlichkeit (und spreche auch offen über meine eigene), danach machen wir einen ersten Rückblick und sprechen offen und konstruktiv über die Zielerreichung. Was ist gut gelungen, wo können wir es noch besser machen? Danach nehme ich mir Zeit für die Mitarbeitendenbeurteilung. Falls mir dieser Begriff zuwider ist, gibt es auch Alternativen, z.B. Förder- und Entwicklungsgespräch. Der Name mag ein Signal sein, die Essenz zeigt sich jedoch im Inhalt und in der Umsetzung.

Danach formulieren wir gemeinsam die gegenseitigen Erwartungen und Wünsche für die künftige Zusammenarbeit und gelangen danach zu den Zielvereinbarungen für die nächste Zukunft. Falls aus dem Rückblick, den Beurteilungen oder aus den neuen Zielvereinbarungen Förder- und Entwicklungsmassnahmen (z.B. Weiterbildung) abgeleitet werden, legen wir diese gemeinsam fest.

Beurteilung und Zielvereinbarung als Kernelemente

Wir müssen uns nichts vormachen: als Vorgesetzter komme ich nicht darum herum, mich konstruktiv-kritisch mit den Mitarbeitenden auseinandersetzen. Das ist auch gut so. Der Wunsch des Mitarbeiters, konkret zu wissen, wo er steht, wird oft unterschätzt. Anstelle der klassischen „Quali" (z.B. mit Schulnoten) ist es durchaus sinnvoll, betriebsbezogene eigene „Raster" (z.B. Fokussierung auf Stärken) zu entwickeln.

Im Zusammenhang mit dem Beurteilungsschema lohnt es sich, genügend Zeit in die Formulierungen und auch die Abstufungen zu investieren. Einerseits muss ich mich in diesem Schema zurechtfinden und anderseits können hier Nuancen darüber entscheiden, ob die Mitarbeitenden motiviert oder frustriert aus dem Gespräch gehen. Die Beratungspraxis zeigt zudem, dass es von Vorteil ist, wenn alle Vorgesetzten in einem Unternehmen die gleiche Umsetzungsvorstellung des Beurteilungsrasters haben.

In der modernen Führungslehre gilt die Vereinbarung von klaren, nachvollziehbaren und messbaren Zielen (Management by Objectives) quasi als Königsdisziplin der kooperativen Führung und damit als wichtiger Erfolgsfaktor des Jahresgespräches. Falls nötig muss ich als Führungskraft den Weitblick haben, die Zielvereinbarungen bei allfälligen signifikant veränderten Rahmenbedingungen frühzeitig neu zu besprechen und zu fixieren. Die Betonung liegt übrigens im Wort Vereinbarung. Auch wenn wir kein betriebliches Wunschkonzert haben, werde ich kein ausreichendes Commitment meiner Mitarbeitenden erwarten können, wenn ich die Ziele top-down-mässig diktiere.

Respekt und Feedback-Kultur

Die schlechte Nachricht zuerst: wenn es mir nicht gelingt, während des ganzen Jahres ein Klima des Respekts und eine offene Feedback-Kultur zu schaffen, werde ich auch keinen Nährboden für ein konstruktives Jahresgespräch schaffen können. Im umgekehrten Fall, wenn für mich Wertschätzung und konstruktives Feedback keine Fremdwörter sind, gibt es keinen Grund, weshalb ein Mitarbeitergespräch und die damit oft verbundene Mitarbeiterbeurteilung ein ungutes Gefühl auslösen muss.

Darf ich kein Gespräch führen?

Nein, ich darf nicht. Falls ich in meinem Unternehmen kein vernünftiges Konzept habe, kann ich eine andere Option prüfen: ich vereinbare mit meinen Mitarbeitenden frühzeitig einen Gesprächstermin, nehme ein leeres Blatt und halte auf diesem die gegenseitige Einschätzung der Zusammenarbeit fest. Während des Gespräches kann geklärt werden, wie die Parteien die Zusammenarbeit im Alltag erlebt haben und ob die gegenseitig vereinbarten Beiträge eingehalten worden sind. Noch bedeutender ist die gegenseitige Frage, welche Herausforderungen im kommenden Jahr zu bewältigen sind, welches der Beitrag des Mitarbeitenden ist und wie ich ihn bei der Erreichung der Ziele unterstützen kann.

Es geht also nicht um die Frage, ob ich die Jahresgespräche führe, sondern wie ich sie führe. Verstecken wir uns also nicht hinter ausgeklügelten Fragebogen sondern reden wir mit unseren Mitarbeitenden. Sie werden es uns danken.


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Erstellt am 20. Oktober 2016 von Alexander Gonzalez

Disclaimer: die obgenannten Ausführungen geben die ganz persönliche Meinung des Autors wieder und haben keinen allgemeingültigen und verbindlichen Charakter. Diese entstammen aus der über 20jährigen Berufserfahrung als Führungskraft und Berater von Unternehmen und Führungskräften.

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